Die Akteure:
- die junge Braut
- der betagte Gatte, der noch einmal jung heiratete
- die Zeit
Utensilien:
- die Trauringe
"So dann!" sprach die Zeit, "bevor ich mich anschicke, Euch wegen 'unüberbrückbarer Differenzen' zu scheiden, blickt zurück und tut mir kund, wie Euch das Geschehene bereichert hat". Das Paar saß betreten und schweigend, in seine eigenen Gedanken verwoben. Was verband sie, was trennte sie?
Nach geraumer Zeit begann der Gatte: "Teuerste! Ich war vom Glanze Eures Aussehens angezogen: der Reichtum der Farben, Eure Maße, Eure Raffinesse, Eure Offenheit. Ich hingegen lebte in meiner Welt, war nur unter Meinesgleichen."
Die Braut schloss an: "Ich erinnere mich an Eure lieblichen Annäherungsversuche, ich hatte mir sogar ein ältliches tällnät zu Eigen gemacht, obwohl meine Bekannten davor gewarnt hatten. Würde ich dies benutzen, könnte ich mich gleich mitten auf den Markt stellen und laut für Jedermann hörbar zu Euch sprechen."
"Aber Liebste, was gibt es Schöneres, als über die Liebe zu sprechen? Das kann ruhig jeder hören" entgegnete der Gatte.
Darauf die Braut: "In einem Dorf wie dem Eurem sicherlich, ich pflege die Dinge lieber etwas privater zu halten. Trotzdem fand ich das originell, so ganz direkt - das versprach Abwechslung vom sonst so gehaltslosen Lamento, das mich tagein tagaus umgibt."
"Und überhaupt," brachte der Gatte vor, "waren unsere Trauringe nicht aus feinstem Material? Passten sie nicht wunderbar ineinander? Sind sie doch der Inbegriff der Gleichheit - das offen getragene Zeugnis der Verbundenheit?"
Die Braut überlegte und entgegnete: "Wohl, aber einzig die Gravur ist gleich. Schaut, dort ist 'sechstausend' zu lesen. Ihr werdet einsehen, dass das für ein Zusammenleben nicht reicht. Ich mag funkeln und strahlen, Ihr aber versteht diese Worte gar nicht. Schlimmer noch: Ihr tut so als ob Ihr mich versteht!"
"Das ist nicht wahr" erboste sich der Gatte, "mühte ich mich doch ab, Euch mehr zu bieten als Meinesgleichen gewohnt ist. Ließ ich es doch zu, das fremde Gestalten mein Haus bevölkerten, damit sie sich lieblich um Euch kümmern. Ja ich sehe ein, sie waren noch jung und unreif, das merkte ich schon an ihren seltsamen Namen. geh-äll solle erstmal erwachsen werden und sich als tauglich erweisen. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich Euch über die Schwelle trug: trotz all der Mühe waren nur Eure Konturen zu sehen. Wenn ich Euch berührte, war es als ob ich es mit einem Geist mit unsichtbarer Haut zu tun habe. So schade!"
Die Braut war ergriffen ob der offenen Ehrlichkeit. Ein letztes Mal ergriff sie die Hand ihres Verflossenen und sprach: "Lasst mich weiterziehen. Behaltet mich in bester Erinnerung. Seid versichert, dass es mich ohne Euch überhaupt nicht gäbe." Darauf lächelte der Gatte und die Beiden nickten der Zeit zufrieden zu.